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Mein eigener Verlust
Schon seit ich denken konnte, berührten mich traurige/dramatische Filme kaum auf negativer emotionaler Ebene. Es gab eigentlich nur einen Film, der mir Tränen entriss: "Hachiko". Bisher hatte ich meine Gefühle in Bezug auf Traurigkeit gut "unter Kontrolle". Nur selten musste ich mich anstrengen, bei traurigen Anlässen oder ähnlichen Dingen, nicht zu emotional zu sein.
Generell würde ich behaupten, ein eher rationaler und analytisch denkender Mensch zu sein. Tage und Wochen vergingen seit meinem letzten Aufenthalt in Cottbus. Ich schaute einen Film, in dem während einer Szene eine Frau im Krankenhaus ihren Vater besuchte und dieser dort auf dem Sterbebett lag. Da merkte ich plötzlich, wie mich diese Szene berührte und mir die Tränen kamen. War es etwas Schlechtes? Keineswegs. Eher sogar interessant, die Beobachtung der psychischen Verwundbarkeit am eigenen Leib zu spüren. Nun wusste und spürte ich selbst, wie sich ein Verlust wirklich anfühlte und was es für ein Vakuum hinterließ. Eine Leere, die unfüllbar schien. Aufgrund seines Alkoholkonsums hatte ich mich schon vor seinem Krankenhausaufenthalt mehr und mehr dem Alkohol abgeschworen. Selten trank ich nur noch bei Veranstaltungen oder abends mal einen Wein. Seit seinem Tod hat sich diese Einstellung noch mehr verfestigt und mittlerweile sehe ich das Thema kritischer denn je. Laut Statistik der WHO stirbt jedes Mal ein Mensch aufgrund übermäßigen Alkoholkonsums, wenn ich bis 12 zähle. Traurig angesichts dessen, wie etabliert und akzeptiert dieses Nervengift in unserer Gesellschaft war.
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Mein eigenes Bild
Als meine Schwester mit mir damals im Cottbuser Krankenhaus war, hatte sie am Tag vor meiner Ankunft ein kurzes Handyvideo gemacht, in dem man meinen Vater im Bett liegen und reden sah. Hierzu muss gesagt werden, dass er am Tag meiner Ankunft kaum mehr zu reden vermochte und am Tag danach nur noch sehr wenig Laute von sich gab, bis er nur noch atmete. Bis zum heutigen Tage habe ich mir dieses Video nicht mehr angeschaut und auch bestimmte mit ihm verbundene Lieder vermieden zu hören. Da ich nun selbst Teil meiner eigenen Arbeit wurde, wollte ich mir dies alles für diesen einen Moment aufheben, in dem ich meine bewusste Auseinandersetzung habe, um das Bild zu kreieren.
Da es mir sehr wichtig ist, meine eigene Erfahrung so gut wie möglich wiederzugeben, schreibe ich die folgenden Zeilen nun im direkten Moment nach der Bildkreation.
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Zuerst nahm ich meine Gitarre in die Hand und spielte mein Arrangement von Neil Young´s Song „heart of gold“, welchen ich stark mit einem Vater assoziiere. Dies war der Song, welchen wir zuletzt an einem schönen Tag in der Natur, ein paar Meter vom Haus meines Vaters entfernt auf der Wiese zusammen spielten. Er mit seiner Mundharmonika und ich mit der alten Gitarre, welche dort jedes Mal auf mich wartete, wenn ich ihn besuchte. Danach bereitete ich ein paar weitere Lieder zum Hören vor, welche ich mit ihm verbinde. Da wäre einer seiner Lieblingssongs namens „when the music is over“ von The Doors. In seinem Keller hatte er sich damals ein kleines Musikzimmer eingerichtet. Dort ließ er dieses Lied hin und wieder am späten Abend laufen, oft in einer Lautstärke, welche andere Menschen gewiss als unangenehm empfinden würden. „Ich brauch das manchmal“ hieß es. Ich konnte ihn gut verstehen. Manches erreicht einen so noch tiefer...geht ins Herz – wenn man die Vibrationen im Körper spürt.
Ein zweiter Song war ohne langes Überlegen direkt gefunden: „riders on the storm“, welcher auch von The Doors ist. Zufällig sowohl der meiner Schwester als auch mein Lieblingssong der Band. Da muss ich direkt an das große Jim Morrison Poster denken, welches Meine Schwester damals in ihrem Zimmer hängen hatte, als wir noch zusammen in einem Haus wohnten.
Die Songs bereit, öffnete ich zuerst das besagte Video, welches meine Schwester von ihm machte. Es ist schon ein seltsames Gefühl. Auch nach 1,5 Jahren ohne ein Bild oder Video von ihm bewusst gesehen zu haben, spüre ich, wie es dort im Krankenhaus war. Die Erinnerung an ihm war stark. Doch ich merkte, dass nicht das Video mich am emotionalsten machte, sondern ein Foto von Ihm, als er kaum noch regend im Krankenbett lag und Sie seine Hand hielt. Ich spürte sofort die Hilflosigkeit und vor allem die Einsamkeit, welche er die ganzen letzten Jahre, alleine lebend in einem Haus am Waldrand ohne viel Kontakt zur Familie, in sich trug. Als ich das Foto sah, leise „riders on the storm“ laufen ließ, schloss ich die Augen und spürte wieder, nur diesmal stärker als sonst, welche Leere er in mir hinterlassen hat. Wenn ich etwas Schönes zu berichten hatte, erfuhr er es stets in einem unserer wöchentlichen Telefonate.
Doch in diesen Telefonaten hörte ich auch zunehmend öfter, wie kraftloser er wurde und der Alkohol neben der Musik ein immer nötigerer Faktor wurde, um mit der Einsamkeit und den negativen Gefühlen klarzukommen. Ich fand es stets traurig, wusste aber, dass es sein Weg war und er für keinen anderen mehr die Kraft und Muße hatte. Damalige Versuche, mit ihm zusammen etwas gegen die soziale Isolation zu machen, waren oft vergebens. Die Bilder und Gedanken im Kopf wurden intensiver und die Frage, ob ich überhaupt weinen würde, hatte sich in Tränen aufgelöst. Meine Gedanken sprangen zwischen schönen und traurigen Momenten hin und her. Als die letzten weniger werdenden Tropfen auf das Papier hinunterfielen, hielt ich etwas Abstand vom Blatt und sah mir noch ein paar Erinnerungsfotos von und mit Ihm an. Ein Lächeln kam mir ins Gesicht. Ich wünschte, ich hätte von diesem einen Moment in der Natur ein Bild von uns beiden beim zusammen musizieren. Er war der einzige in meiner Familie, mit dem ich diese Leidenschaft bis zum heutigen Tage in dieser Form teilen konnte. Schön war es. Schön, weil er nicht nur hörte, sondern auch sehr stark fühlte, was in der Musik geschah. Gerade bei Blues-Stücken wurde er emotional. Hin und wieder zeigte oder schickte er mir per E-Mail
live-aufnahmen, welche er von Bluesmusikern fand. Versuchte hier und dort auf der Mundharmonika zu begleiten und fragte mich, welche denn die richtige sei, wenn er es nicht wusste (gemeint ist die richtige Tonart des Songs, da eine Mundharmonika i.d.R. Nur in einer Tonart gespielt werden kann). Als ich ihn mal fragte, wieso er noch seinen Ehering trug, antwortete er mir: ,,Weil ich nun mit der Musik verheiratet bin“.
Aufgrund seiner Verbindung mit dem Blues wählte ich Blau als die erste Farbe meines Bildes. Blau, wie auch seine Stimmung war, die ich oft wahrgenommen hatte. Die anderen Farben stehen für die grünen Blätter der Bäume und die warmen Farben des getrockneten Schilfs, welches uns an jenem Tag umgaben, als wir draußen gemeinsam „heart of Gold“ spielten.
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Nun blicke ich auf das fertige Blatt vor mir, bin erleichtert und dankbar. Was in mir war, ist herausgekommen und hat dies erschaffen. Jetzt kann ich die Menschen noch mehr verstehen, welche mir von diesem Gefühl berichteten, als sie ihre eigenen Momente durchlebten und ihr Bild schufen. Es fühlt sich gut an. Zum Ausklang höre ich nun Estas Tonne´s wunderschönes Stück „Inner“ und schließe meine Augen.
Wochen später merke ich, dass meine Verletztheit bei bestimmten Momenten (Filmszenen, Fotos anschauen, etc.) abgenommen hat. Natürlich trägt die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema innerhalb des Projekts seinen Teil dazu bei, doch merkte ich es erst richtig, nachdem ich mein eigenes Bild kreierte. In der Zeit nach dem eigenen Bild ist es für mich angenehmer, solche Szenen zu schauen oder mir etwas anzusehen, was mich sonst triggerte. Später bemerkte ich auch bei anderen emotionalen Situationen, welche mit dem Tod eines bekannten Menschen zusammenhängt, dass es nun leichter fällt, solche Momente zu erleben. Dahingehend kann ich sagen: der Prozess der bewussten Auseinandersetzung und die Kreation meines eigenen Gefühlswerks hat mir wirklich gut getan und ich denke noch Heute dankbar daran, wenn ich mein Bild anschaue.